Wie viel Hygiene braucht die Praxis?

Wie viel Hygiene braucht die Praxis?
 
Bei dieser Frage kommt es oft zu sehr konträren Positionen.

Überzogen, zeitraubend und nervig empfinden viele Ihrer Kolleginnen und Kollegen die Gesetze, Richtlinien und Verordnungen, in denen die erhöhten Anforderungen an die Hygiene in der Praxis festgeschrieben sind.
In den meisten Fällen bedeutet das für Praxis und Personal einschneidende Veränderungen bei den seit Jahren gewohnten Prozessabläufen. Ein Vorgang der nicht immer einfach zu bewerkstelligen ist. „Das haben wir schon immer so gemacht und da ist noch nie was passiert“ so, oder so ähnlich lautet ein vielfach gehörtes Credo.

Ein hoher Qualitätsanspruch, der Schutz von Patienten und Mitarbeitern, die massiv erhöhten Anforderungen an die Dokumentation und das Beweislastumkehrverfahren markieren die andere Seite.

In diesem Spannungsfeld stehen die Podologen.

Die unterschiedlichen Aussagen und Kommentare von Bezirksregierungen, Gesundheitsämtern, Industrie- oder Standesvertretern haben mehr zur Verunsicherung unter den Podologen geführt, als zur Klärung der Situation beigetragen.

Feststeht, der Alleinverantwortliche für die Umsetzung dieser drastisch erhöhten Anforderungen im Hygienemanagement ist der Praxisbetreiber.
  • Das heißt für den Praxisbetreiber, egal welche Aussage Verbände, Bezirksregierungen, Gesundheitsämter, Veranstaltungsleiter oder Medizinprodukteberater  treffen, er allein ist verantwortlich, dass geltende Gesetze, Verordnungen, Richtlinien und Empfehlungen in seiner Praxis umgesetzt werden.
Formuliert Hans-Werner Röhlig, Richter am AG Gladbeck, mit Schwerpunkt: Medizinrecht und haftungsrechtliche Verantwortung für Einrichtungen des Gesundheitswesens und ihrer Mitarbeiter.

Von besonderer Bedeutung ist dabei die Aufbereitung von Medizinprodukten. Sie zählt juristisch gesehen zu den „Vollbeherrschbaren Risiken“ in der podologischen Praxis. Verstöße gegen diese Hygienestandards führen fast automatisch zur Haftung der Podologen.

Das Beweislastumkehrverfahren

Was ist darunter zu verstehen?
 
  • „Eine Einrichtung (z.B. podologische Praxis) hat für die Folgen einer Infektion aus einem beherrschbaren Bereich einzustehen, sofern sie sich nicht dahingehend zu entlasten vermag, dass alle organisatorischen und technischen Vorkehrungen gegen vermeidbare Keimübertragung getroffen waren“.
(BGH, VersR 1991. S. 467ff. – bestätigt u.a. für Arztpraxen, Urteil vom 20.03.2007 – BGH VI ZR 158/06)
 
Die Gerichte gingen in ihren Entscheidungen sogar noch einen Schritt weiter.
Waren die Ärzte oder Podologen bislang in dem guten Glauben, der Patient müsse ihnen nachweisen, dass er eine gesundheitliche Beeinträchtigung in Praxis erworben habe, urteilen die Oberlandesgerichte in Schleswig und wie zu vor im Ergebnis das OLG Düsseldorf ganz anders.
  • „Das Unterlassen der gebotenen Keimreduzierung führt selbst bei einer letztlich nicht geklärten Infektionsursache zur Beweislastumkehr und damit zur Haftung.“
Es reicht der Verdacht, ohne begründeten Hinweis auf den Ort oder die Ursache einer Infektion und es greift das Beweislastumkehrverfahren. Ein Patient mit einer tatsächlichen oder vermeintlichen gesundheitlichen Beeinträchtigung, kann vom Praxisbetreiber den Nachweis verlangen, dass die Instrumente mit denen er behandelt wurde gesetzeskonform aufbereitet waren.
Definiert sind diese Anforderungen im §4 Abs. 2 Satz 1 der Medizinprodukte Betreiberverordnung (MPBetreibV) Sie fordern vom Betreiber einer Klinik, Arzt oder Podologenpraxis zur  „Sicherung und Gesundheit von Patienten, Anwendern und Dritten, dass die Aufbereitung von Medizinprodukten mit einem geeigneten validierten Verfahren so durchzuführen ist, dass der Erfolg dieses Verfahrens nachvollziehbar gewährleistet ist."
Zwei Begriffe sind hier von entscheidender Bedeutung. Erstens welche Schritte definieren den Aufbereitungsprozess und zweitens welche den des validierten Verfahrens.
 
Voraussetzung für die Aufbereitung
 
Vor der Aufbereitung erfolgt die Einteilung alle Instrumente in Risikoklassen von unkritisch bis kritisch B. Für die Medizinprodukte jeder Risikoklasse müssen Arbeitsanweisungen erstellt werden, die folgende Schritte der Instrumentenaufbereitung eindeutig beschreiben.
  • Vorbereitung,
  • Reinigung,
  • Desinfektion,
  • Spülen und Trocknen,  
  • Kontrolle,
  • Sterilgutverpackung,
  • Sterilisation und
  • Freigabeentscheidung.
Die Freigabe kann nur erfolgen, wenn jeder Schritt der Aufbereitung erfolgreich war und dokumentiert ist.
 
Das leitet über zu der zweiten Anforderung „einem geeigneten validierten Verfahren,“ der Achillesferse jeder Praxis. Hier werden die Weichen gestellt zwischen Regressforderungen und Haftung auf der einen und der Rechtssicherheit für den Praxisbetreiber seine Mitarbeiter und Patienten auf der anderen Seite. Unabdingbare Voraussetzung ist dabei die Validierung des Verfahrens. Ein Begriff der ständig gebraucht, dessen klare Definition sich jedoch eher unbekannt ist.
 
Validiert ist ein Verfahren, wenn:
  • eine Standardarbeitsanweisung (SAA) für jeden Schritt der Aufbereitung vorhanden,
  • das Verfahren reproduzierbar,
  • der gewünschte Erfolg anhand von objektivierten Parametern belegt
  • und jeder Schritt der Aufbereitung dokumentiert ist.
 
Beachtet der Praxisbetreiber die Weisungen des § 4 der Medizinprodukte -Betreiberverordnung in Verbindung mit der RKI Empfehlung „Anforderungen an die Aufbereitung von Medizinprodukten,“ dann wird ihm die schützende und nicht widerlegbare Vermutung eines abgesicherten, validierten Aufbereitungsverfahren zu teil.
 
Die Aufbewahrungsfristen
 
Die Fristen für diese Dokumentation werden im Medizinproduktegesetz (MPG) und im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) geregelt.
„Der Betreiber einer Einrichtung (Praxis/Klinik) hat den allumfassenden Hygieneschutz dokumentarisch transparent für den Zeitraum des im Zivilrecht bis zu 30-jährigen Verjährungsbeginn zu gestalten,“
urteilte der Bundesgerichtshof (BGH. NJW 1991, S. 1948). .... 198/77 in: NJW 1978, S. 1690 f.)
 
Die Beweislast
 
Ausschließlich der Praxisbetreiber trägt die Verantwortung die Medizinprodukte nach einem „geeigneten validierten Verfahren“ aufbereitet zu haben.
Insbesondere die „lückenlose und transparente“ Dokumentation dieses Prozesses stellt viele Ihrer Kolleginnen und Kollegen vor große Anforderungen. Definiert sind diese Anforderungen u.a. in der Anlage 1 der aktuellen RKI-Richtlinie „Anforderungen an die Hygiene bei der Aufbereitung von Medizinprodukten“ aus dem Jahr 2012
Speziell bei dem Nachweis einer validierten Instrumentenaufbereitung sieht sich der Praxisbetreiber mit einer Reihe von Problemfeldern konfrontiert.
Podologen sind durch Praxisbegehungen zunehmend der Kontrolle staatlicher Behörden ausgesetzt. Begehungen werden in der Regel als unangenehm, belastend und wegen drohender Sanktionen zuweilen als bedrohlich empfunden.
  • Einer Praxisbetreiberin, die kritisch B Instrumente in ihrer Praxis nicht nach einem validierten Verfahren aufbereitet hat, wurde mit sofortiger Wirkung die Instrumentenaufbereitung in der Praxis untersagt. (OVG NRW AZ 13 B 894/09).
  • Nach dem Willen der Richter am Oberverwaltungsgericht, ist eine Instrumentenaufbereitung ohne Validierung nicht mehr zulässig. Ebenso stellten sie den Patientenschutz deutlich über die wirtschaftlichen Interessen des Praxisbetreibers.
Der Beschluss des OVG (er ist unanfechtbar) ist eine Steilvorlage für Anwälte klagewilliger Patienten.

Die Barmer Krankenkasse bieten ihren Mitglieder Checklisten zum Thema „Behandlungsfehler“ an mit dem Hinweis, dass in den meisten Fällen die Rechtsschutzversicherung die Kosten übernimmt.
 
Im Internet finden sich zunehmend mehr Patientenforen die ihre Erfahrungen bei der Durchsetzung von Regressen gegen Ärzte und Podologen austauschen.
 
Unterstützt werden sie dabei bundesweit von Anwaltskanzleien, die sich als „Spezialisten für Behandlungsfehler“ empfehlen oder mit extrem hohen, von ihnen geforderten Schadenssumme renommieren.
Für die Podologinnen und Podologenen stellt sich die Aufgabe aus dem fast unüberschaubaren Berg von Gesetzen, Verordnungen und Richtlinien diejenigen herauszusuchen und umzusetzen, die Schutz und Sicherheit für Praxis, Personal und Patienten gewährleisten. Zugegeben – nicht ganz einfach und ohne fachkundige, externe Hilfe kaum zu bewerkstelligen.
 
Hilfe & Unterstützung

So sieht das auch die Bundesregierung und hat über das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie Fördermittel bereitgestellt.
  • Nimmt der Praxisbetreiber externen Rat und Hilfe bei der Lösung der geschilderten Probleme in Anspruch, können bis zu 80 Prozent der Kosten erstattet werden. Diese Förderung kann der Antragsteller mehrfach zu thematisch unterschiedlichen Bereichen in Anspruch nehmen.
Insbesondere gilt das auch für die Implementierung eines Systems zur rechtsicheren Dokumentation einer validierten Instrumentenaufbereitung in Ihrer Praxis. Damit haben Sie dann selbst im Fall der Beweislastumkehr, nichts zu befürchten.
 
Sprechen Sie mit uns, wir zeigen Ihnen den Weg.
 
Redaktion – Recht & SicherheitProPedes24